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SEENOMADEN 1994-97
Vermutlich hatten die bajo, die Seenomaden von Sulawesi und Flores und an verstreuten Inseln entlang bis zur Ostspitze von Timor eine orginär nomadische Lebensweise bis in das ausgehende 20. Jahrhunderts. Verlässliche Angaben über ihre Anfänge, ihre ursprüngliche Verbreitung und Lebensweise fehlen uns. Wir wissen nicht sicher, ob Seenomadismus immer eine eigenständige Lebensweise war. Wir wissen auch nicht, wie lange es ihn gab. Spuren haben die frühen nomadisch lebenden Seenomaden aufgrund fehlender, haltbarer Materialien und Siedlungen an Land nicht hinterlassen. Europäische Eroberer, die Seenomaden in ihren Chroniken erwähnen, konnten sich keine maritime Lebensweise vorstellen und hielten die Seenomaden fälschlicherweise für Piraten. Inzwischen sind die nomadisch lebenden Seenomaden sesshaft und zu Fischern geworden. 1994 konnte ich noch vereinzelt segelnde Seenomaden finden. 1997 hatten auch sie ihre seeschweifende Lebensweise aufgegeben oder waren gestorben. Bis 2007 habe ich die Seenomaden, mit denen ich gelebt habe, regelmäßig in ihrer neuen Umgebung aufgesucht und ihre fortschreitende Abhängigkeit von Händlern und deren wirtschaftlichen Interessen beobachten können. Das Meer ist den sesshaften Seenomaden kein Lebensraum mehr, sondern nur noch eine Wirtschaftszone. Seenomadisch zu leben galt der indonesischen Regierung als archaisches Relikt, dass nicht zu ihrer Vorstellung von einem modern Staat passt. Ölfirmen, Perlenzüchter und Touristen verdrängten die Seenomaden aus ihren klassischen Seezonen und auch aus ihren Rückzugsgebieten bei Sturm, den Mangroven. Nach 1997 bin ich nie wieder nomadisch lebenden und segelnden Seenomaden begegnet. Die indonesische Regierung hat Hütten auf Stelzen für sie auf der Grenze zwischen Land und Wasser errichtet und nach und nach auf das feste Land ausgedehnt. Schulen, Moscheen, Bürgermeisteramt und Kontrolle gehören dazu. Boote der Seenomaden wurden konfisziert, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern auf dem Meer von Beamten entdeckt wurden. Ein Kind in der Schule ist das Ende jeden nomadischen Lebens. Beamte und Händler gaben den Seenomaden Zweitaktmotoren für Boote, die ein Schutzdach vor Sonne hatten, aber keine Wohnboote mehr für eine maritime Lebensform waren. Benzin kaufen zu müssen brachte die Seenomaden, anders als ein seeschweifendes Leben unter Segeln, in Abhängigkeit und Verschuldung gegenüber ihren Auftraggebern. Frauen und Kinder blieben fortan im Dorf zurück, wenn ihre Männer alle drei oder vier Monate mit einem Verbund von provisorischen und motorisierten Booten für zwei oder drei Wochen pongkat machten, also gezielt bei Nacht in Riffgebieten mit Speeren nach großen Mengen Seegurken tauchten. Im Unterschied zu ihnen, sammelten nomadisch lebende Seenomaden immer nur so viele Seegurken, wie sie zum Tausch für Streichhölzer, Zigaretten und Zucker für ihren persönlichen Bedarf benötigten. Am Morgen nach einer Fangnacht wurden die Seegurken vom Inneren befreit, für Stunden gekocht, lange auf einem Grill getrocknet und so konserviert. Nomadisch lebende Seenomaden trockneten ihre Seegurken wochenlang in der Sonne auf dem Dach ihrer Wohnboote während sie über das Meer schweiften. Seenomaden aßen keine Seegurken. Diese waren nur für den Tausch bestimmt. Die seeschweifenden Seenomaden folgten Fischen mit den saisonalen Meeresströmungen, ernährten sich von ihnen und konservierten sie für einen späteren Tausch. Sie aßen Sago, Fisch, Muscheln, Seegras, Schlickwürmer und das Fleisch von Kokosnüssen. Süßwasser fanden sie im Regenwald und an Stränden, wo zwanzig Zentimeter unter Muschelgeröllden steht. Äußerst scheu waren sie, mieden die Landbevölkerung und versteckten sich vor Beamten. Sesshafte Seenomaden fand ich überall. Bevor ich ein Boot nomadisch lebender Seenomaden sichtete, waren fünf Wochen intensiven Suchens vergangen. Ich hatte Indonesisch gelernt und sie gewährten mir, bei ihnen zu bleiben. Festes Land assoziierten sie mit Krankheiten und Geistern. Auffallend und ausgeprägt war ihr Sinn für Unabhängigkeit, Gleiche unter Gleichen zu sein und mobil, also seeschweifend zu leben. Miteinander zu konkurrieren war ihnen fremd. Mit ihrer Sesshaftigkeit hat sich ihre ethische Disposition verändert. Uns, die wir uns für zivilisiert ansehen, ist ihr hoch spezialisiertes Wissen verloren gegangen von einem maritimen Leben, das wir uns nicht vorstellen können und von einer Haltung dem Leben gegenüber, von der wir hätten lernen können. Edle Wilde waren die Seenomaden nicht. Ihre Lebensweise hatte Licht und Schatten. So konnte ich auch Fangmethoden dokumentieren die geächtet sind, ebenso wie die geächteten Transportmethoden ihrer Auftraggeber. Darunter das Fangen von Barschen und Napoleonfischen, die anschließend lebend in vor der Küste versteckten Netzkäfigen gehalten wurden, bis große Frachtschiffe sie nach Hongkong transportierten, wo sie in Aquarien von Nobel-Restaurants endeten. Aufgrund von Überfischung und der Gründung von Naturschutzparks und deren Überwachung, ist dieses Geschäft für den Handel nicht mehr lukrativ. Im Internet kursieren Sätze und Erfahrungen aus meinem Buch Die Gabe der Seenomaden. Nicht als Zitat, sondern als eigene aktuelle Aussage über das Leben der Seenomaden. Diese Aussagen waren vor siebzehn Jahren gerade noch gültig, einer Zeit, als das seeschweifende, maritime Leben der Seenomaden Geschichte wurde.